Warnemünde ist nicht der typische Ort für meine Shootings. Touristisch, überlaufen, laut. Ruhe finde ich hier nicht. Einmal im Jahr ist Warnemünde jedoch wie eine kleine Sensation und ich meine nicht die Hanse-Sail. Jedes Jahr im Herbst/Winter findet sich ein kleiner Trupp Meerstrandläufer in Warnemünde ein. Dort suchen die rauen Kerlchen die Hafenmolen nach Futter ab.
Im Winter lohnt es sich an der Ostsee das Online-Portal Ornitho.de im Auge zu behalten. Dort gehen Vogelbeobachtungen aus ganz Deutschland ein. So lässt sich mithilfe von Ornitho.de in Erfahrung bringen, wann die Meerstrandläufer (Calidris maritima) in Warnemünde eintreffen. Die Meerstrandläufer sind auf alle Fälle einen Besuch wert, denn diese Limikolen sind in Deutschland sehr selten. Laut NABU sind sie sogar so selten, dass Sichtungen an die örtliche Avifaunistische Kommission gemeldet werden sollten, um die wissenschaftliche Beobachtung dieser seltenen Vogelart zu unterstützen.
Befinden sich die Meerstrandläufer in Warnemünde, geht die Suche los. In Warnemünde gibt es drei Hafenmolen – die Westmole, die Mittelmole, und die Ostmole. West- und Mittelmole befinden sich westlich des Hafens, dem Hauptbereich Warnemündes. Die Ostmole auf der anderen Seite lässt sich mit der Fähre erreichen. Da die Meerstrandläufer sich gerne auf allen drei Molen aufhalten, geht der Beobachtung der Meerstrandläufer in der Regel eine kleine Suche voraus. Ein Fernglas ist dabei von Hilfe.
Meine Suche begann an der Westmole und führte über die Mittelmole und eine fünf-minütige Fahrt mit der Fähre zur Ostmole. Verglichen mit dem Sommer ist Warnemünde im Winter ruhig. So genoss ich meinen ›Spaziergang‹ an der frischen Ostsee-Luft. Ich beobachte die verschiedenen Möwen (Lach‑, Sturm‑, Silber- und Mantelmöwe) und beobachte sogar, wie eine Mantelmöwe einem Kormoran einen dicken Fisch abjagte. Von der westlichen Anlegestelle der Hafenfähre konnte ich beobachten, wie ein Eisvogel das Hafenbecken überquerte.
Fotografieren aus nächster Nähe
Angekommen auf der Ostmole traf ich drei Meerstrandläufer an der Molenspitze an. Meine drei Motive für die kommenden Stunden wuselten auf den Steinen herum, vorzugsweise nur knapp über dem Wasser. Ich kletterte die Steine hinab, um auf Augenhöhe zu kommen. Die Piepmätze ließen sich überhaupt nicht von mir stören und kamen regelmäßig bis auf eine Armlänge an mich heran. So boten sich zahlreiche Gelegenheit für Porträt-Aufnahmen.
Auch wenn meine drei Buddies nicht kooperativer hätten sein können, deutet das letzte Bild der Porträt-Galerie bereits an, dass das Shooting ganz schön knifflig war. Aufgrund einer dichten Wolkendecke gab es nur wenig Licht. Um die Fotos ausreichend zu belichten, musste ich mit relativ langen Verschlusszeiten arbeiten. Häufiger knipste ich mit 1/100 Sekunde. Die Meerstrandläufer sind jedoch sehr quirlig und standen fast niemals still. Die Kombination aus sich bewegenden Vögeln und einer relativ langen Verschlusszeit führten dazu, dass viele Bilder unscharf sind. Mit modernen Kameras lässt sich wenig Licht mit hohen ISO-Werten kompensieren, aber bei meiner Nikon D7100 werden die Fotos spätestens ab ISO 2000 unbrauchbar.
Zutrauliche Vögelchen auf der einen Seite, schwierige Lichtverhältnisse auf der anderen Seite. Aufnahmesituationen in der Vogelfotografie lassen sich nur wenig beeinflussen. Für mich persönlich macht dies den Reiz der Vogelfotografie aus. Ich legte mir also einen Fahrplan für das Shooting zurecht, mit dem ich unterschiedliche Bilder realisieren wollte.
Warum der Hintergrund so wichtig ist
Der Hintergrund nimmt einen Großteil vieler Vogelfotos ein. Ist der Himmel bedeckt, malt Wasser im Hintergrund eine monoton gräuliche Fläche hinter das Motiv. Der Grund dafür ist, dass das Wasser die Farbe des Himmels spiegelt. Ich finde diese Hintergründe nichtssagend. Die Auseinandersetzung mit der Vogelwelt ist für mich immer auch eine Auseinandersetzung mit den vielfältigen Lebensräumen der Vögel. In meinen Augen eignen sich Hintergründe hervorragend, um diese Lebensräume darzustellen oder anzudeuten. Ein monoton grauer Hintergrund ist also eine verschenkte Möglichkeit.
Alternativ zu Wasser im Hintergrund probierte ich die Meerstrandläufer vor den dunklen Steinen der Mole erwischen. Die Felsen lassen sich zusätzlich auch in den Vordergrund des Bildes aufnehmen, um den Lebensraum »Mole« noch stärker zu betonen und dem Bild mehrere ›Lagen‹ zu verleihen.
Immer wieder beobachtete ich, dass die Meerstrandläufer nicht vor dem kalten Wasser zurückschreckten. Einmal rutschte eine Vogel ab und plumpste ins Wasser. Ein anderes Mal brach eine Welle über einem der kleinen Kerlchen zusammen. Gerne hätte ich so eine Szene eingefangen, aber um spritzendes Wasser einzufrieren, hätte ich mehr Licht benötigt. Mit Wisch- und Unschärfe-Techniken wollte ich nicht arbeiten, da diese malerische Art der Fotografie weniger meinem Stil entspricht. Solche impressionistischen Bilder lassen sich zum Beispiel beim Rostocker Fotograf Kai Bratke finden.
Aktionsbilder verleihen dem Motiv Persönlichkeit
Während sich mit dem Hintergrund die Anmutung des Fotos beeinflussen lässt, erlauben Aktionsbilder tiefe Einblicke in den ›Alltag‹ der Vögel. Mit der Kamera kann sogar sichtbar gemacht werden, was dem Auge ansonsten verborgen bliebe. So gelang mir auch die ein oder andere Aufnahme, die einen Meerstrandläufer beim Futtern zeigt. In der folgenden Bilderserie meine ich zu erkennen, dass unser gefiederter Freund ein kleines Würmchen vom Felsen gelöst oder aus dem Wasser gefischt hat.
Mit etwas Geduld lässt sich häufig auch beobachten, wie Vögel ›Self-care‹ betreiben. Sie zupfen sich kaputte Federn aus dem Gefieder, schütteln sich trocken und ordnen so ihre Federn, und sie machen ›Vogel-Yoga‹. Ich fühle mich immer geehrt, wenn Vögel sich vor meinen Augen der Körperpflege hingeben, weil dies ein Zeichen dafür ist, dass sie sich wohl und sicher fühlen.
Grundlegendes Wissen über die Körpersprache von Vögeln ist nützlich sowohl bei der Vogelbeobachtung als auch bei der Vogelfotografie. Vögel geben uns zu verstehen, ob sie sich wohl fühlen, oder wir ihnen zu nah gekommen sind. Kleine Bewegungen können einen Hinweis darauf geben, dass der Vogel gleich abfliegt, oder dass sich zwei Vögel gleich paaren werden. Wer diese Hinweise wahrnimmt, hat Chancen darauf, seltene Verhaltensweisen zu beobachten und vielleicht sogar zu fotografieren.
Kleine Details sind nicht minder faszinierend
Mit dem bloßen Auge lassen sich die Details im Gefieder nicht erkennen. Selbst mit einem Teleobjektiv ist der Abstand zum Vogel häufig zu groß, um Details sichtbar zu machen. Detailfotos sind daher nicht nur relativ selten, sondern bezeugen eine besondere Intimität. Fotograf und Motiv müssen sich sehr nahe gewesen sein. Detailfotos schienen mir daher eine geeignete Möglichkeit, um die Nähe darzustellen, die die drei Protagonisten von der Mole zuließen. Darüber hinaus weisen Detailfotos häufig ästhetisch interessant Muster und Farben auf.
Besonders fasziniert haben mich die orange leuchtenden Füße der Meerstrandläufer, mit denen sie tritt-sicher über die glitschigen Stein laufen. Diese Füße sind schwer zu fotografieren, da sie nur selten still stehen. Schwer heißt aber nicht unmöglich.
Einfach mal raus zoomen: Abbildungsmaßstab und Schärfeebene
Meistens benutze ich mein Objektiv mit der größtmöglichen Brennweite, das heißt, ich zoome immer maximal ins Bild. Ich mag es einfach, wenn der Vogel möglichst groß erscheint und der Hintergrund sich in Unschärfe auflöst. Als ich aber bereits die gewünschten Fotos im Kasten hatte – Porträts, Aktionsbilder, Details – beschloss ich noch ein paar Aufnahmen mit weniger Zoom zu machen. Mit diesen Aufnahmen lässt sich mehr Habitat ins Bild mit einbeziehen. Außerdem gelang es mir ein paar Bilder zu schießen, auf denen nicht nur einer, sondern gleich zwei Meerstrandläufer zu sehen sind.
Sollte ich noch einmal die Zeit finden, um die Meerstrandläufer zu besuchen, würde ich das bei klarem Himmel am Ende des Tages machen. Im Winter taucht die untergehende Sonne die Ostsee bei Warnemünde in leuchtende Farben. Ich kann mir vorstellen, dass die Meerstrandläufer in dieser Gegenlichtsituation ein faszinierendes Motiv abgeben würden.
Fazit
Das Shooting mit den drei Meerstrandläufern in Warnemünde hat mir sehr viel Spaß gemacht. Dass die drei Limikolen völlig unbekümmert bis auf eine Armlänge an mich herankamen, stand in einem interessanten Spannungsverhältnis zu der bedeckten Lichtsituation und den schwachen Kontrasten zwischen Motiv und Hintergrund im Molen-Setting. Auch wenn ich an diesem Tag viele unbrauchbare Fotos schoss, konnte ich einige Fotos knipsen, mit denen ich sehr zufrieden bin. Vor allem die Porträt-Bilder und die Detailfotos gefallen mir sehr gut.