Morgenstund’ hat Gold im Mund, ist ein bekanntes deutsches Sprichwort. Komme ich im Alltag häufig nicht aus den Federn, kann ich in meiner Freizeit nicht früh genug aufstehen. Die meisten Vögel sind in den frühen Morgenstunden am aktivsten. Außerdem kann ich mich als Fotograf im Schutz der Dunkelheit meinen gefiederten Sujets nähern ohne diese zu verscheuchen. Dass das Licht um den Sonnenaufgang herum das schönste Licht des Tages ist, ist das i‑Tüpfelchen. In diesem zweiten Beitrag zum diesjährigen Herbstzug der Watvögel beleuchte ich, wie ich die frühen Morgenstunden ausnutzte, um verschiedene Watvögel an einem kleinen Tümpel zu fotografieren.
Diesen Sommer verbrachte ich Ende August auf der Insel Texel. Auf einem Spaziergang mit einer Freundin fiel mir ein Weiher im Naturschutzgebiet De Slufter in die Augen. Auf diesem Weiher tummelten sich unter anderem Grünschenkel (Tringa nebularia), Bruchwasserläufer (Tringa glareola), Waldwasserläufer (Tringa ochropus) und Bekassine (Gallinago gallinago). Somit beherbergte der Weiher Arten, die ich gerne (noch) einmal fotografieren wollte, denn meine besten Fotos von Grünschenkel und Waldwasserläufer sind alt, meine Bekassine-Fotos gefallen mir nicht und Bruchwasserläufer hatte ich noch nie vor der Linse. Der kleine See schien mir die idealen Bedingungen zu haben, um mein Foto-Archiv auszubessern.
In den nächsten Tagen suchte ich den Weiher noch drei weitere Male auf, zwei Mal davon mit Freunden. Das einzige, was schöner ist als die Ornithologie, ist die Ornithologie als Gemeinschaftsaktivität. Bei jedem Besuch des Weiher sahen wir meine ›Wunscharten‹. Ich überlegte bei diesen Spaziergängen schon, wo ich mich für das Shooting positionieren würde und folgte dabei folgenden Leitfragen: Welche Stellen des Ufers sind für mich erreichbar? Welchen Hintergrund würden Fotos von diesen Stellen haben? Wo würde die Sonne stehen?
Völlig außer Frage war die Vorgehensweise bei dem Shooting. Ich würde mich in der nächtlichen Finsternis an der Ufer pirschen, um die Vögel nicht zu verscheuchen. Für die nächsten Nächte sagte der Wetterbericht einstellige Temperaturen an. Da man auf dem Boden liegend bei solchen Temperaturen schnell auskühlt – und ich würde einige Stunden liegen müssen – musste ich ein paar Tage bis zum Shooting warten.
Die schönsten Momente fängt nur das Herz ein
An dem heiß ersehnten Morgen klingelte mein Wecker morgens um halb vier. Gut eine halbe Stunde später war ich am Tümpel. Ich sprühte mich mit viel Anti-Mücken-Spray ein (sehr empfehlenswert!), zog mir meinen Camouflage-Anzug an, schlich zum Ufer und legte mich an der geeigneten Stelle hin. Es war kalt, aber erträglich. Da es noch zu dunkel war, um zu fotografieren, ruhte ich mich noch etwas aus. Im Angesicht des bevorstehenden Shootings wäre es mir unmöglich gewesen zu schlafen, zu groß war meine Vorfreude
Zwei Bekassinen liefen meckernd vom anderen Ufer durch das saichte Wasser und kamen bei auf zwei, drei Armlängen an mich heran. Wer so etwas schon einmal erlebt hat, weiß, wie besonders diese Momente sind. Niemals lässt sich solch eine Begegnung auf so kurze Distanz und mitten in der Finsternis auf Fotos bannen.
Noch vor Sonnenaufgang konnte ich die ersten Fotos realisieren. Dafür verwendete ich einen Bohnensack als Stativ und den Burst-Modus meiner Kamera. Im Burst-Modus macht meine Kamera sieben Aufnahmen pro Sekunde. So entstehen zwischen vielen unscharfen Fotos in der Regel immer auch ein, zwei scharfe Fotos.
Diesmal stellte ich allerdings fest, dass alle Fotos unbrauchbar waren. Der Grund: Die Frontlinse war beschlagen. Kurzzeitig dachte ich, dass all der Aufwand umsonst war, denn mir ist bis heute noch kein Mittel gegen beschlagene Linsen bekannt. Ich entschied mich etwas zu warten, dann putzte ich die Linse, und wenn die Linse wieder beschlug, wartete ich einfach weiter. Immerhin war es noch fast Nacht und ich hoffte, dass die Linse mit Tagesanbruch nicht mehr beschlagen würde.
Meine Hoffnung bewahrheitete sich. Mir gelangen erst Aufnahmen vom Grünschenkel, dann kamen die Waldwasserläufer nah an mich heran. Auch die Bruchwasserläufer ließen sich blicken und posierten vor der Kamera. Selbst die scheuen Bekassinen tauchten später auf. Weitere Gäste am Weiher waren Rotschenkel (Tringa totanus), ein junger Löffler (Platalea leucorodia), und Bachstelze (Motacilla alba).
Da es an diesem Morgen relativ windstill war, war die Wasseroberfläche teilweise recht glatt, und ich hatte meine Freude daran, die Spiegelungen der Vögel mit in die Bilder einzubeziehen. Verschieden dicke Wolkenschleier zogen vor der aufgehenden Sonne vorbei und so entstanden innerhalb weniger Augenblicke unterschiedliche Lichtsituationen mit variierenden farblichen Nuancen. Schöner hätte dieser Morgen nicht sein können.