Erinnerungen sind das Gold unserer Seele, sagte einmal ein lebenserfahrener Freund zu mir. Vor dem Hintergrund dieses Gedankens möchte ich diesen Blog lostreten mit einem Beitrag über mein Goldregenpfeifer-Shooting im August. Die Goldis habe ich erwischt im niederländischen Wattenmeer, während Niedrigwasser, gewissermaßen auf dem Grund des Meeres. Das Wattenmeer zählt zu einem der bedeutendsten Rastplätze vieler Zugvögel, die hier die notwendige Energie tanken für ihre kräftezehrende Reise vom hohen Norden nach Südeuropa oder Afrika. Dieser Beitrag ist der erste einer dreiteiligen Serie über meine diesjährige Stippvisite der niederländischen Insel Texel, die eng mit meiner Biographie verwoben ist.
In Europa befindet sich das größte Wattenmeer der Welt, das von den Niederlanden über Deutschland bis nach Dänemark reicht. Kennzeichnend für dieses ‚Gezeitensystem‘ sind Ebbe und Flut, die sich ungefähr in einem 6‑Stunden Rhythmus abwechseln: Zwei Mal täglich steht die Wattfläche unter Wasser, zwei Mal täglich liegt sie trocken. Viele Lebewesen im Wattenmeer sind daher sowohl an das Leben unter Wasser als auch an das Leben an Land angepasst. Typische Arten im Wattenmeer sind neben dem Wattwurm der schillernde Seeringelwurm, Miesmuschel, Herzmuschel und Sandklaffmuschel. Diese Lebewesen dienen Watvögeln als Nahrungsquelle, weshalb das Wattenmeer ein idealer Ort ist, um verschiedene Vogelarten zu beobachten und zu fotografieren.
Wie jedes Jahr seit 2019 war ich auch dieses Jahr auf der Insel Texel, die sich im niederländischen Wattenmeer befindet. Zusammen mit anderen Freiwilligen der Waddenvereniging führte ich Touristen auf die Wattfläche bei De Cocksdorp, um ihnen das Ökosystem Wattenmeer näher zu bringen. Wenn ich nicht gerade Exkursionen gab, hatte ich Freizeit. Die habe ich natürlich genutzt, um verschiedene Fotoprojekte zu realisieren. Eines meiner diesjährigen Projekte war es, Goldregenpfeifer (Pluvialis apricaria) abzulichten.
Wo lassen sich Goldregenpfeifer am besten fotografieren?
Meinen diesjährigen Texel-Aufenthalt hatte ich in den Spätsommer gelegt, wenn die goldenen Limikolen auf ihrem Weg von den Brutgebieten in Skandinavien zu ihren Überwinterungsgebieten in Südeuropa im Wattenmeer einkehren, um sich auszuruhen und um ihre Fettreserven aufzufüllen. Bei der Wahl des genauen Zeitraums half mir das niederländische Portal waarneming.nl. Während meines Aufenthalts auf Texel konnte ich tausende Goldregenpeifer sichten. Die kleinen Vögelchen bilden häufig große Schwärme, die lautstark auf sich aufmerksam machen.
Während des Hochwasser hielten sich die Goldis auf den zahlreichen Gewässern zwischen Deich und Inselinland. Ein bei deutschen Fotografen recht bekanntes Gewässer liegt zum Beispiel im Naturgebiet Wagejot. Während des Niedrigwassers traf ich die Goldis auf den Wattflächen auf, wo sie fleißig futterten. Das ist ein typisches Verhaltensmuster vieler Limikolen: Rasten bei Niedrigwasser, Auftanken bei Hochwasser.
Die Gewässer hinter dem Deich (z.B. Wagejot) suche ich eher selten zur Fotografie auf, da die Vögel dort nicht sehr aktiv sind und sich in großem Abstand zum Ufer aufhalten. Die tiefe Aufnahmeperspektive, die ich so gerne mag, lässt sich dort häufig auch nicht realisieren. Daher entschied ich mich die Goldregenpfeifer auf dem Watt abzulichten.
In manchen Gebieten des Wattenmeers ist der Zutritt verboten. Außerdem gibt es im Watt tiefe Schlickfelder, die selbst eine zwei Meter lange Person verschlucken können, und scharfkantige Muscheln, die bloßes Fleisch aufschlitzen können. Obwohl Ebbe und Flut und die damit einhergehend starke Strömungen recht berechenbar sind, können dieses Naturphänomene zusammen mit kurzfristigen Wetterumschwüngen oder plötzlich auftretendem dichten Küstennebel lebensbedrohlich sein. Shootings auf dem Wattenmeer erfordern daher ein besonderes Know-How und bescheren häufig intensive Naturerfahrungen.
Das Wattenmeer ist unberechenbar
Die Goldregenpfeifer hielten sich während Niedrigwasser häufig auf einer jungen Miesmuschelbank auf, die es in 2023 noch nicht gegeben hatte. Um dort hin zu gelangen, musste ich durch hüfthohes Wasser waten. Ein dicker Pulli hielt mich für eine gute Stunde warm, dann hatte er sich mit Wasser voll gesaugt. Ohne Regenjacke wäre ich schon noch wenigen Minuten klatschnass gewesen.
Aufgrund einer dichten Wolkendecke gab es wenig Licht und ich musste mit längeren Verschlusszeiten fotografieren, als mir lieb gewesen ist, sodass viele Bilder unscharf geworden sind. Mir gelangen allerdings auch genügend scharfe Bilder. Als plötzlich ein kräftiger Regenguss aus den Wolken brach, erklärte ich das Shooting für beendet. Ich war zwar eh völlig durchnässt, weshalb der Regen mir nichts ausmachte, aber ich wollte keinen Wasserschaden am Fotoapparat riskieren. Der Fotoapparat verschwand daher in einem wasserdichten Rucksack. Solche Rucksäcke sind bei Shootings auf dem Wattenmeer äußerst praktisch.
Für mich sind die Goldregenpfeifer mit ihrem leuchtendem Gefieder eine Augenweide. Wirklich besonders sind die Fotos für mich allerdings ist wegen des Zusammenspiels der strahlenden Goldis mit der jungen Miesmuschelbank und dem Regen. Die Miesmuschelbank, die innerhalb eines Jahr plötzlich aufgetaucht ist, symbolisiert nicht nur die Dynamik des Wattenmeers, sondern bildet auch einen dunklen Hintergrund, vor dem sich die Goldis gut abheben. Die Regentropfen, die auf manchen Bildern zu sehen sind, sind ein Symbol der Naturgewalten, die auf dem Wattenmeer besonders intensiv erlebt werden können.