Limikolen-Herbstzug auf Texel – I

26. August 2024

Erin­ne­run­gen sind das Gold unse­rer See­le, sag­te ein­mal ein lebens­er­fah­re­ner Freund zu mir. Vor dem Hin­ter­grund die­ses Gedan­kens möch­te ich die­sen Blog los­tre­ten mit einem Bei­trag über mein Gold­re­gen­pfei­fer-Shoo­ting im August. Die Gol­dis habe ich erwischt im nie­der­län­di­schen Wat­ten­meer, wäh­rend Nied­rig­was­ser, gewis­ser­ma­ßen auf dem Grund des Mee­res. Das Wat­ten­meer zählt zu einem der bedeu­tends­ten Rast­plät­ze vie­ler Zug­vö­gel, die hier die not­wen­di­ge Ener­gie tan­ken für ihre kräf­te­zeh­ren­de Rei­se vom hohen Nor­den nach Süd­eu­ro­pa oder Afri­ka. Die­ser Bei­trag ist der ers­te einer drei­tei­li­gen Serie über mei­ne dies­jäh­ri­ge Stipp­vi­si­te der nie­der­län­di­schen Insel Texel, die eng mit mei­ner Bio­gra­phie ver­wo­ben ist. 

 

Der Goldregenpfeifer steht auf einer Miesmuschelbank. Sechs Stunden später lag diese Muschelbank gut einen Meter unter Wasser. Die Gezeiten prägen das Wattenmeer.

Der Gold­re­gen­pfei­fer steht auf einer Mies­mu­schel­bank. Sechs Stun­den spä­ter lag die­se Muschel­bank gut einen Meter unter Was­ser. Die Gezei­ten prä­gen das Wattenmeer.

 

In Euro­pa befin­det sich das größ­te Wat­ten­meer der Welt, das von den Nie­der­lan­den über Deutsch­land bis nach Däne­mark reicht. Kenn­zeich­nend für die­ses ‚Gezei­ten­sys­tem‘ sind Ebbe und Flut, die sich unge­fähr in einem 6‑Stunden Rhyth­mus abwech­seln: Zwei Mal täg­lich steht die Watt­flä­che unter Was­ser, zwei Mal täg­lich liegt sie tro­cken. Vie­le Lebe­we­sen im Wat­ten­meer sind daher sowohl an das Leben unter Was­ser als auch an das Leben an Land ange­passt. Typi­sche Arten im Wat­ten­meer sind neben dem Watt­wurm der schil­lern­de See­rin­gel­wurm, Mies­mu­schel, Herz­mu­schel und Sand­klaff­mu­schel. Die­se Lebe­we­sen die­nen Wat­vö­geln als Nah­rungs­quel­le, wes­halb das Wat­ten­meer ein idea­ler Ort ist, um ver­schie­de­ne Vogel­ar­ten zu beob­ach­ten und zu fotografieren.

Wie jedes Jahr seit 2019 war ich auch die­ses Jahr auf der Insel Texel, die sich im nie­der­län­di­schen Wat­ten­meer befin­det. Zusam­men mit ande­ren Frei­wil­li­gen der Wad­den­ver­eni­ging führ­te ich Tou­ris­ten auf die Watt­flä­che bei De Cocks­dorp, um ihnen das Öko­sys­tem Wat­ten­meer näher zu brin­gen. Wenn ich nicht gera­de Exkur­sio­nen gab, hat­te ich Frei­zeit. Die habe ich natür­lich genutzt, um ver­schie­de­ne Foto­pro­jek­te zu rea­li­sie­ren. Eines mei­ner dies­jäh­ri­gen Pro­jek­te war es, Gold­re­gen­pfei­fer (Plu­via­lis apri­ca­ria) abzu­lich­ten.

 

Wo lassen sich Goldregenpfeifer am besten fotografieren?

 

Mei­nen dies­jäh­ri­gen Texel-Auf­ent­halt hat­te ich in den Spät­som­mer gelegt, wenn die gol­de­nen Limi­ko­len auf ihrem Weg von den Brut­ge­bie­ten in Skan­di­na­vi­en zu ihren Über­win­te­rungs­ge­bie­ten in Süd­eu­ro­pa im Wat­ten­meer ein­keh­ren, um sich aus­zu­ru­hen und um ihre Fett­re­ser­ven auf­zu­fül­len. Bei der Wahl des genau­en Zeit­raums half mir das nie­der­län­di­sche Por­tal waar​ne​ming​.nl. Wäh­rend mei­nes Auf­ent­halts auf Texel konn­te ich tau­sen­de Gold­re­gen­pei­fer sich­ten. Die klei­nen Vögel­chen bil­den häu­fig gro­ße Schwär­me, die laut­stark auf sich auf­merk­sam machen.

 

 

Wäh­rend des Hoch­was­ser hiel­ten sich die Gol­dis auf den zahl­rei­chen Gewäs­sern zwi­schen Deich und Insel­in­land. Ein bei deut­schen Foto­gra­fen recht bekann­tes Gewäs­ser liegt zum Bei­spiel im Natur­ge­biet Wage­jot. Wäh­rend des Nied­rig­was­sers traf ich die Gol­dis auf den Watt­flä­chen auf, wo sie flei­ßig fut­ter­ten. Das ist ein typi­sches Ver­hal­tens­mus­ter vie­ler Limi­ko­len: Ras­ten bei Nied­rig­was­ser, Auf­tan­ken bei Hochwasser.

 

Wer fut­tert, muss schei­ßen. Mit dem Burst-Modus las­sen sich beson­ders gut sol­che Moment­auf­nah­men einfangen.

 

Die Gewäs­ser hin­ter dem Deich (z.B. Wage­jot) suche ich eher sel­ten zur Foto­gra­fie auf, da die Vögel dort nicht sehr aktiv sind und sich in gro­ßem Abstand zum Ufer auf­hal­ten. Die tie­fe Auf­nah­me­per­spek­ti­ve, die ich so ger­ne mag, lässt sich dort häu­fig auch nicht rea­li­sie­ren. Daher ent­schied ich mich die Gold­re­gen­pfei­fer auf dem Watt abzulichten.

In man­chen Gebie­ten des Wat­ten­meers ist der Zutritt ver­bo­ten. Außer­dem gibt es im Watt tie­fe Schlick­fel­der, die selbst eine zwei Meter lan­ge Per­son ver­schlu­cken kön­nen, und scharf­kan­ti­ge Muscheln, die blo­ßes Fleisch auf­schlit­zen kön­nen. Obwohl Ebbe und Flut und die damit ein­her­ge­hend star­ke Strö­mun­gen recht bere­chen­bar sind, kön­nen die­ses Natur­phä­no­me­ne zusam­men mit kurz­fris­ti­gen Wet­ter­um­schwün­gen oder plötz­lich auf­tre­ten­dem dich­ten Küs­ten­ne­bel lebens­be­droh­lich sein. Shoo­tings auf dem Wat­ten­meer erfor­dern daher ein beson­de­res Know-How und besche­ren häu­fig inten­si­ve Naturerfahrungen.

 

Das Wattenmeer ist unberechenbar

 

Die Gold­re­gen­pfei­fer hiel­ten sich wäh­rend Nied­rig­was­ser häu­fig auf einer jun­gen Mies­mu­schel­bank auf, die es in 2023 noch nicht gege­ben hat­te. Um dort hin zu gelan­gen, muss­te ich durch hüft­ho­hes Was­ser waten. Ein dicker Pul­li hielt mich für eine gute Stun­de warm, dann hat­te er sich mit Was­ser voll gesaugt. Ohne Regen­ja­cke wäre ich schon noch weni­gen Minu­ten klatsch­nass gewesen.

 

Sich irgend­wo auf der Insel zu ver­schan­zen, kommt für den Gold­re­gen­pfei­fer nicht in Fra­ge. Solan­ge die Watt­flä­che tro­cken liegt, muss er genü­gend Reser­ven für den Zug nach Süd­eu­ro­pa anlegen.

 

Auf­grund einer dich­ten Wol­ken­de­cke gab es wenig Licht und ich muss­te mit län­ge­ren Ver­schluss­zei­ten foto­gra­fie­ren, als mir lieb gewe­sen ist, sodass vie­le Bil­der unscharf gewor­den sind. Mir gelan­gen aller­dings auch genü­gend schar­fe Bil­der. Als plötz­lich ein kräf­ti­ger Regen­guss aus den Wol­ken brach, erklär­te ich das Shoo­ting für been­det. Ich war zwar eh völ­lig durch­nässt, wes­halb der Regen mir nichts aus­mach­te, aber ich woll­te kei­nen Was­ser­scha­den am Foto­ap­pa­rat ris­kie­ren. Der Foto­ap­pa­rat ver­schwand daher in einem was­ser­dich­ten Ruck­sack. Sol­che Ruck­sä­cke sind bei Shoo­tings auf dem Wat­ten­meer äußerst praktisch.

Für mich sind die Gold­re­gen­pfei­fer mit ihrem leuch­ten­dem Gefie­der eine Augen­wei­de. Wirk­lich beson­ders sind die Fotos für mich aller­dings ist wegen des Zusam­men­spiels der strah­len­den Gol­dis mit der jun­gen Mies­mu­schel­bank und dem Regen. Die Mies­mu­schel­bank, die inner­halb eines Jahr plötz­lich auf­ge­taucht ist, sym­bo­li­siert nicht nur die Dyna­mik des Wat­ten­meers, son­dern bil­det auch einen dunk­len Hin­ter­grund, vor dem sich die Gol­dis gut abhe­ben. Die Regen­trop­fen, die auf man­chen Bil­dern zu sehen sind, sind ein Sym­bol der Natur­ge­wal­ten, die auf dem Wat­ten­meer beson­ders inten­siv erlebt wer­den können.

 

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