Meerstrandläufer in Warnemünde

18. November 2024

War­ne­mün­de ist nicht der typi­sche Ort für mei­ne Shoo­tings. Tou­ris­tisch, über­lau­fen, laut. Ruhe fin­de ich hier nicht. Ein­mal im Jahr ist War­ne­mün­de jedoch wie eine klei­ne Sen­sa­ti­on und ich mei­ne nicht die Han­se-Sail. Jedes Jahr im Herbst/Winter fin­det sich ein klei­ner Trupp Meer­strand­läu­fer in War­ne­mün­de ein. Dort suchen die rau­en Kerl­chen die Hafen­mo­len nach Fut­ter ab.

 

Im Win­ter lohnt es sich an der Ost­see das Online-Por­tal Orni​tho​.de im Auge zu behal­ten. Dort gehen Vogel­be­ob­ach­tun­gen aus ganz Deutsch­land ein. So lässt sich mit­hil­fe von Orni​tho​.de in Erfah­rung brin­gen, wann die Meer­strand­läu­fer (Calid­ris mari­ti­ma) in War­ne­mün­de ein­tref­fen. Die Meer­strand­läu­fer sind auf alle Fäl­le einen Besuch wert, denn die­se Limi­ko­len sind in Deutsch­land sehr sel­ten. Laut NABU sind sie sogar so sel­ten, dass Sich­tun­gen an die ört­li­che Avif­au­nis­ti­sche Kom­mis­si­on gemel­det wer­den soll­ten, um die wis­sen­schaft­li­che Beob­ach­tung die­ser sel­te­nen Vogel­art zu unterstützen.

 

Meer­strand­läu­fer brü­ten hoch im Nor­den, in fel­si­ger Tun­dra, bei­spiels­wei­se in Skan­di­na­vi­en und auf Island. Man­che Indi­vi­du­en blei­ben im Win­ter in der Tun­dra. Die ande­ren Indi­vi­du­en hal­ten sich in ihren Win­ter­quar­tie­ren an stei­ni­gen Küs­ten­ab­schnit­ten auf. 

 

Befin­den sich die Meer­strand­läu­fer in War­ne­mün­de, geht die Suche los. In War­ne­mün­de gibt es drei Hafen­mo­len – die West­mo­le, die Mit­tel­mo­le, und die Ost­mo­le. West- und Mit­tel­mo­le befin­den sich west­lich des Hafens, dem Haupt­be­reich War­ne­mün­des. Die Ost­mo­le auf der ande­ren Sei­te lässt sich mit der Fäh­re errei­chen. Da die Meer­strand­läu­fer sich ger­ne auf allen drei Molen auf­hal­ten, geht der Beob­ach­tung der Meer­strand­läu­fer in der Regel eine klei­ne Suche vor­aus. Ein Fern­glas ist dabei von Hilfe.

Mei­ne Suche begann an der West­mo­le und führ­te über die Mit­tel­mo­le und eine fünf-minü­ti­ge Fahrt mit der Fäh­re zur Ost­mo­le. Ver­gli­chen mit dem Som­mer ist War­ne­mün­de im Win­ter ruhig. So genoss ich mei­nen ›Spa­zier­gang‹ an der fri­schen Ost­see-Luft. Ich beob­ach­te die ver­schie­de­nen Möwen (Lach‑, Sturm‑, Sil­ber- und Man­tel­mö­we) und beob­ach­te sogar, wie eine Man­tel­mö­we einem Kor­mo­ran einen dicken Fisch abjag­te. Von der west­li­chen Anle­ge­stel­le der Hafen­fäh­re konn­te ich beob­ach­ten, wie ein Eis­vo­gel das Hafen­be­cken überquerte.

 

Fotografieren aus nächster Nähe

 

Ange­kom­men auf der Ost­mo­le traf ich drei Meer­strand­läu­fer an der Molen­spit­ze an. Mei­ne drei Moti­ve für die kom­men­den Stun­den wusel­ten auf den Stei­nen her­um, vor­zugs­wei­se nur knapp über dem Was­ser. Ich klet­ter­te die Stei­ne hin­ab, um auf Augen­hö­he zu kom­men. Die Piep­mät­ze lie­ßen sich über­haupt nicht von mir stö­ren und kamen regel­mä­ßig bis auf eine Arm­län­ge an mich her­an. So boten sich zahl­rei­che Gele­gen­heit für Porträt-Aufnahmen.

 

 

Auch wenn mei­ne drei Bud­dies nicht koope­ra­ti­ver hät­ten sein kön­nen, deu­tet das letz­te Bild der Por­trät-Gale­rie bereits an, dass das Shoo­ting ganz schön kniff­lig war. Auf­grund einer dich­ten Wol­ken­de­cke gab es nur wenig Licht. Um die Fotos aus­rei­chend zu belich­ten, muss­te ich mit rela­tiv lan­gen Ver­schluss­zei­ten arbei­ten. Häu­fi­ger knips­te ich mit 1/100 Sekun­de. Die Meer­strand­läu­fer sind jedoch sehr quir­lig und stan­den fast nie­mals still. Die Kom­bi­na­ti­on aus sich bewe­gen­den Vögeln und einer rela­tiv lan­gen Ver­schluss­zeit führ­ten dazu, dass vie­le Bil­der unscharf sind. Mit moder­nen Kame­ras lässt sich wenig Licht mit hohen ISO-Wer­ten kom­pen­sie­ren, aber bei mei­ner Nikon D7100 wer­den die Fotos spä­tes­tens ab ISO 2000 unbrauchbar.

 

Die Auf­nah­me­si­tua­ti­on brach­te noch eine wei­te­re Schwie­rig­keit mit sich mit: das Fokus­sie­ren. Da sich die Meer­strand­läu­fer nur wenig von der Farb­ge­bung der Stei­nen der Mole unter­schei­den, fokus­sier­te mei­ne ›blin­de‹ Kame­ra häu­fig auf die kon­trast­rei­chen Flügelpartien.

 

Zutrau­li­che Vögel­chen auf der einen Sei­te, schwie­ri­ge Licht­ver­hält­nis­se auf der ande­ren Sei­te. Auf­nah­me­si­tua­tio­nen in der Vogel­fo­to­gra­fie las­sen sich nur wenig beein­flus­sen. Für mich per­sön­lich macht dies den Reiz der Vogel­fo­to­gra­fie aus. Ich leg­te mir also einen Fahr­plan für das Shoo­ting zurecht, mit dem ich unter­schied­li­che Bil­der rea­li­sie­ren wollte.

 

Warum der Hintergrund so wichtig ist

 

Der Hin­ter­grund nimmt einen Groß­teil vie­ler Vogel­fo­tos ein. Ist der Him­mel bedeckt, malt Was­ser im Hin­ter­grund eine mono­ton gräu­li­che Flä­che hin­ter das Motiv. Der Grund dafür ist, dass das Was­ser die Far­be des Him­mels spie­gelt. Ich fin­de die­se Hin­ter­grün­de nichts­sa­gend. Die Aus­ein­an­der­set­zung mit der Vogel­welt ist für mich immer auch eine Aus­ein­an­der­set­zung mit den viel­fäl­ti­gen Lebens­räu­men der Vögel. In mei­nen Augen eig­nen sich Hin­ter­grün­de her­vor­ra­gend, um die­se Lebens­räu­me dar­zu­stel­len oder anzu­deu­ten. Ein mono­ton grau­er Hin­ter­grund ist also eine ver­schenk­te Möglichkeit.

Alter­na­tiv zu Was­ser im Hin­ter­grund pro­bier­te ich die Meer­strand­läu­fer vor den dunk­len Stei­nen der Mole erwi­schen. Die Fel­sen las­sen sich zusätz­lich auch in den Vor­der­grund des Bil­des auf­neh­men, um den Lebens­raum »Mole« noch stär­ker zu beto­nen und dem Bild meh­re­re ›Lagen‹ zu verleihen.

 

 

Immer wie­der beob­ach­te­te ich, dass die Meer­strand­läu­fer nicht vor dem kal­ten Was­ser zurück­schreck­ten. Ein­mal rutsch­te eine Vogel ab und plumps­te ins Was­ser. Ein ande­res Mal brach eine Wel­le über einem der klei­nen Kerl­chen zusam­men. Ger­ne hät­te ich so eine Sze­ne ein­ge­fan­gen, aber um sprit­zen­des Was­ser ein­zu­frie­ren, hät­te ich mehr Licht benö­tigt. Mit Wisch- und Unschär­fe-Tech­ni­ken woll­te ich nicht arbei­ten, da die­se male­ri­sche Art der Foto­gra­fie weni­ger mei­nem Stil ent­spricht. Sol­che impres­sio­nis­ti­schen Bil­der las­sen sich zum Bei­spiel beim Ros­to­cker Foto­graf Kai Brat­ke finden.

 

Aktionsbilder verleihen dem Motiv Persönlichkeit

 

Wäh­rend sich mit dem Hin­ter­grund die Anmu­tung des Fotos beein­flus­sen lässt, erlau­ben Akti­ons­bil­der tie­fe Ein­bli­cke in den ›All­tag‹ der Vögel. Mit der Kame­ra kann sogar sicht­bar gemacht wer­den, was dem Auge ansons­ten ver­bor­gen blie­be. So gelang mir auch die ein oder ande­re Auf­nah­me, die einen Meer­strand­läu­fer beim Fut­tern zeigt. In der fol­gen­den Bil­der­se­rie mei­ne ich zu erken­nen, dass unser gefie­der­ter Freund ein klei­nes Würm­chen vom Fel­sen gelöst oder aus dem Was­ser gefischt hat.

 

 

Mit etwas Geduld lässt sich häu­fig auch beob­ach­ten, wie Vögel ›Self-care‹ betrei­ben. Sie zup­fen sich kaput­te Federn aus dem Gefie­der, schüt­teln sich tro­cken und ord­nen so ihre Federn, und sie machen ›Vogel-Yoga‹. Ich füh­le mich immer geehrt, wenn Vögel sich vor mei­nen Augen der Kör­per­pfle­ge hin­ge­ben, weil dies ein Zei­chen dafür ist, dass sie sich wohl und sicher fühlen.

 

 

Grund­le­gen­des Wis­sen über die Kör­per­spra­che von Vögeln ist nütz­lich sowohl bei der Vogel­be­ob­ach­tung als auch bei der Vogel­fo­to­gra­fie. Vögel geben uns zu ver­ste­hen, ob sie sich wohl füh­len, oder wir ihnen zu nah gekom­men sind. Klei­ne Bewe­gun­gen kön­nen einen Hin­weis dar­auf geben, dass der Vogel gleich abfliegt, oder dass sich zwei Vögel gleich paa­ren wer­den. Wer die­se Hin­wei­se wahr­nimmt, hat Chan­cen dar­auf, sel­te­ne Ver­hal­tens­wei­sen zu beob­ach­ten und viel­leicht sogar zu fotografieren.

 

Mit dem Blick nach oben kon­trol­liert der Meer­strand­läu­fer den Luft­raum auf Greif­vö­gel. See­ad­ler sind an der Ost­see kei­ne Sel­ten­heit, aber auch ein klei­ner Sper­ber kann einem Meer­strand­läu­fer schon gefähr­lich werden.

 

Kleine Details sind nicht minder faszinierend

 

Mit dem blo­ßen Auge las­sen sich die Details im Gefie­der nicht erken­nen. Selbst mit einem Tele­ob­jek­tiv ist der Abstand zum Vogel häu­fig zu groß, um Details sicht­bar zu machen. Detail­fo­tos sind daher nicht nur rela­tiv sel­ten, son­dern bezeu­gen eine beson­de­re Inti­mi­tät. Foto­graf und Motiv müs­sen sich sehr nahe gewe­sen sein. Detail­fo­tos schie­nen mir daher eine geeig­ne­te Mög­lich­keit, um die Nähe dar­zu­stel­len, die die drei Prot­ago­nis­ten von der Mole zulie­ßen. Dar­über hin­aus wei­sen Detail­fo­tos häu­fig ästhe­tisch inter­es­sant Mus­ter und Far­ben auf.

 

Die drei röt­li­chen umran­de­ten Federn links von der Bild­mit­te stam­men noch aus dem Pracht­kleid, das die Meer­strand­läu­fer im Som­mer tra­gen. In Deutsch­land bekom­men wir Meer­strand­läu­fer im Pracht­kleid nicht zu sehen.

 

Beson­ders fas­zi­niert haben mich die oran­ge leuch­ten­den Füße der Meer­strand­läu­fer, mit denen sie tritt-sicher über die glit­schi­gen Stein lau­fen. Die­se Füße sind schwer zu foto­gra­fie­ren, da sie nur sel­ten still ste­hen. Schwer heißt aber nicht unmöglich.

 

Im Novem­ber ist die Ost­see eisig kalt. Wür­de ich bar­fuß über die Molen lau­fen, wür­den mir die Füße abfrie­ren. Den Meer­strand­läu­fern macht das küh­le Nass aber nichts aus.

 

Einfach mal raus zoomen: Abbildungsmaßstab und Schärfeebene

 

Meis­tens benut­ze ich mein Objek­tiv mit der größt­mög­li­chen Brenn­wei­te, das heißt, ich zoo­me immer maxi­mal ins Bild. Ich mag es ein­fach, wenn der Vogel mög­lichst groß erscheint und der Hin­ter­grund sich in Unschär­fe auf­löst. Als ich aber bereits die gewünsch­ten Fotos im Kas­ten hat­te – Por­träts, Akti­ons­bil­der, Details – beschloss ich noch ein paar Auf­nah­men mit weni­ger Zoom zu machen. Mit die­sen Auf­nah­men lässt sich mehr Habi­tat ins Bild mit ein­be­zie­hen. Außer­dem gelang es mir ein paar Bil­der zu schie­ßen, auf denen nicht nur einer, son­dern gleich zwei Meer­strand­läu­fer zu sehen sind.

 

 

Soll­te ich noch ein­mal die Zeit fin­den, um die Meer­strand­läu­fer zu besu­chen, wür­de ich das bei kla­rem Him­mel am Ende des Tages machen. Im Win­ter taucht die unter­ge­hen­de Son­ne die Ost­see bei War­ne­mün­de in leuch­ten­de Far­ben. Ich kann mir vor­stel­len, dass die Meer­strand­läu­fer in die­ser Gegen­licht­si­tua­ti­on ein fas­zi­nie­ren­des Motiv abge­ben würden.

 

Fazit

 

Das Shoo­ting mit den drei Meer­strand­läu­fern in War­ne­mün­de hat mir sehr viel Spaß gemacht. Dass die drei Limi­ko­len völ­lig unbe­küm­mert bis auf eine Arm­län­ge an mich her­an­ka­men, stand in einem inter­es­san­ten Span­nungs­ver­hält­nis zu der bedeck­ten Licht­si­tua­ti­on und den schwa­chen Kon­tras­ten zwi­schen Motiv und Hin­ter­grund im Molen-Set­ting. Auch wenn ich an die­sem Tag vie­le unbrauch­ba­re Fotos schoss, konn­te ich eini­ge Fotos knip­sen, mit denen ich sehr zufrie­den bin. Vor allem die Por­trät-Bil­der und die Detail­fo­tos gefal­len mir sehr gut.

 

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